21.06.2024-24.06.2024


21.06.2024
Sehr geehrte Frau NN,

Als ich 2016 nach XY kam, verbrachte ich etwas mehr Zeit an den Regalen im dortigen Discounter, um Zutatenlisten zu prüfen, da ich nicht alles aß und den Laden nicht kannte. Eines Abends wurde ich an der Kasse vor Augen aller aufgefordert, alles aus meiner Tasche herauszunehmen und zu zeigen. Die Tasche war fast leer. Das einzige, was ich kaufte, waren sechs Kerzen für die Menora, wie ich das Denkmal der Deportierten nannte.

Am folgenden Tag ehrte die Stadtverwaltung das Denkmal. Ich hielt mich fern. Ich stellte später manchmal eine Kerze auf die Mauer. Eines Tages erblickte ich dort eine stehen, die nicht mir gehörte. Erfreut und gerührt ging ich auf die Kerze zu und stellte fest, dass es ein Döschen mit Katzenfutter war.

Als ich die Demütigungen 2023 via Klingeln an der Sprechanlage nicht mehr aushalten konnte, schrieb ich Herrn Bürgermeister von XY mehrere Emails in der Hoffnung, dass er die Polizei auffordern wird der Sache endlich angemessen nachzugehen, Strafanzeige vom 09.10.2022. Er schickte meine Emails an den Sozialpsychiatrischen Dienst und die Polizei zu mir.

Gestern, ziemlich genau zum 80. Jahrestag der Erschießung am Waldrand meiner Großeltern, der alle Bewohner des Dorfes zusehen mussten, kamen zwei Polizisten und fragten mich, wie es mir ginge.  Ich sagte: "Gut." Ich versuchte die Ironie mitzuspielen. Es übersteigt aber meine Kräfte.

MfG
Bożena Friedrich

24.06.2024
Sehr geehrte Frau Friedrich,


danke für Ihr Vertrauen. Sie haben mir persönliche und sehr emotionale Dinge geschildert.
Für Sie und Ihre Familie ist es ein schlimmer Tag, dieser Jahrestag der Erschießung Ihrer Großeltern. Auch nach 80 Jahren schmerzt der Verlust. Und die Art der Ermordung, die vor den Augen der Menschen stattfand, die keinerlei Nachvollziehbarkeit hat, trägt dazu bei.

Ich verstehe, dass es Ihre Kräfte übersteigt, wenn genau zu diesem Jahrestag Polizisten bei Ihnen nach Ihrem Ergehen fragen. Sie versuchten, diese Ironie, so schrieben Sie, mitzuspielen.

Mein Gedanke ist nun, kam die Polizei mit dem Wissen um diesen Jahrestag? Oder war es vielmehr eine Reaktion auf Ihre Schreiben an den Bürgermeister, der ja die Polizei auffordern sollte, Ihrer Strafanzeige nachzugehen?
Wie genau kann ich Ihnen helfen? Machen Sie mir gern konkrete Vorschäge!
Ich verbleibe mit herzlichen Grüßen

NN
Diakonin

24.06.2024
Sehr geehrte Frau NN,

Vielen Dank für Ihre Mitteilung. 
Bitte versuchen Sie Herrn Bürgermeister, Herrn YN, nicht zuletzt auch sich selbst zu helfen.
Vor 80. Jahren wurden meine Großeltern nicht erschossen, denn es kam nicht heraus, dass mein Großonkel zwei Stück  "Ungeziefer", wie die Besatzer sie nannten, seit Herbst 1942 versteckt hielt.

Das Wissen um die Erschießung wurde als ein in meinem Kopf entstandenes Phänomen bereits 2004 gedeutet. Nicht, weil es das war, sondern weil auch die Polizei nichts von Erschießungen hören wollte.
Wie Sie vielleicht auf meiner Homepage gelesen haben: Die International Holocaust Remembrance Alliance bestätigte die Existenz des Grabes im Herbst 2022 offiziell.

Die Polizei kam, weil ich gegen die Tötung, die Herr YN und Frau XN angekündigt haben, nicht gekämpft habe.

MfG
Bożena Friedrich