Schweigen tut gut
 

Zu Beginn meiner Obdachlosigkeit oder, wie manche sagen, Wohnungslosigkeit, was der Unterschied ist, weiß ich nicht, meldete ich mich auf Geheiß des Jobcenters, wo meine eingereichten Unterlagen verschwanden, während man behauptete, ich hätte sie nicht eingereicht, bei einer Hilfestelle wegen Zustellung der Post vor allem. Ich versuchte der Sozialarbeiterin, die für mich zuständig war, über die Geschehnisse in der Stadt zu berichten. Eine Zeit lang, hörte sie zu, doch dann schien sie daran, was ich berichtete, nicht mehr zu glauben. Eines Tages sagte sie: "So wichtig sind Sie nicht", wobei sie das "nicht" betonte. Daraufhin hielt ich es nicht für sinnvoll, ihr über die Geschehnisse in der Stadt zu berichten. Ich wechselte in eine andere Beratungsstelle. Während der darauffolgenden neun Jahre dachte ich immer wieder daran, ihr zu schreiben, weil sie möglicherweise einen Mann für einen anderen durchgehend hielt, da der Name des Mannes, den ich ihr einst nannte, nicht der richtige war, was mir erst eine Weile später klar wurde. Ich konnte nicht entscheiden, ob die Angelegenheit wichtig genug war, um ihr darüber zu schreiben. Ich schrieb nicht.

Neun Jahre später hatte ich die Behauptungen Dritter in einer Veröffentlichung der International Holocaust Remembrance Alliance gelesen, dass niemand aus meiner Familie über die Erschießung seit 1944 gesprochen habe, im Dorf habe niemand gewusst, dass sich zwei Juden seit Herbst 1942 dort in einer Erdkuhle versteckt hielten. Ich beschloss der Sozialarbeiterin zu schreiben.

Ich beschloss einen Kontakt zu ihr zu suchen. Meiner Erinnerung nach habe ich, sie stammte aus Schlesien, auch zu ihr über die Erschießung gesprochen. Ich tippte ihren Namen und den Namen eines ihrer Mitarbeiter in Google ein. Der Titel "Allzuoft wird man übersehen" des Bistums der Stadt war der erste, den ich erblickte. Dies erinnerte mich an ihre Äußerung mir gegenüber: "So wichtig sind Sie nicht". Der Titel schien anzudeuten, dass die Mitarbeiter der Beratungsstelle bemüht seien, niemanden zu übersehen.

Eine Weile, nachdem ich zu ihr über einen gewissen Herrn "Z***" gesprochen hatte, wurde mir klar, dass er möglicherweise gar nicht Z*** hieß, sondern sich lediglich so vorstellte, es sei denn, es gab zwei Z***s in der Gruppe. Z*** hieß mit Sicherheit derjenige, der zu mir "Schalom" unzählige Male aus der Ferne in der Stadt schrie, und Worte, ebenso zu mir, in aller Öffentlichkeit rief, wie: "Sie sollen Deutschland verlassen", "Schalom. Die SS wartet auf dich". Er war jedoch nicht derjenige, über den ich der Sozialarbeiterin eines Tages berichtete, und sagte, er hieße so. Er hieß entweder gar nicht so oder auch so. Den Namen nannte er mir, als ich ihm sagte, er solle sich vorstellen, während ich ihm meinen Namen nannte, den er ja ohnehin kannte. Er sagte er hieße Z***. Er nannte, wie ich denke, nicht seinen Namen, sondern den Namen eines anderen Mannes, der mich ebenso belästigte. Er war nicht derjenige, der sich später als Herr Z*** entpuppte, der mit Sicherheit so hieß.

Als ich eines Morgens meine Schlafstätte in der Nähe der Beratungsstelle gerade verlassen hatte, erblickte ich denjenigen, der zu mir unzählige Male in der Stadt "Schalom" schrie. Wie er hieß, wusste ich nicht. Ich hörte ihn "Schalom" auch diesmal schreien. Ich nutzte den Umstand, dass er bergauf fuhr, stürzte zu ihm und hielt am Lenker seines Fahrrades fest. Er versuchte sich zu befreien. Im Gefecht fiel meine Brille runter, soweit ich mich erinnere, riss er sie mir vom Gesicht ab. Sobald sie auf dem Asphalt lag, trat er mit Absicht ein paar Mal auf sie, ich habe zwei Fotos von der Brille. Ein Mann war gerade auf dem Weg zur Arbeit in der Nähe, er rief die Polizei. Der Vorfall offenbarte den Namen Mannes. Er hieß: Z***. Das Schreiben der Staatsanwaltschaft an mich bestätigte es.

Derjenige, der mir verboten hatte, eine Fußgängerbrücke in der Stadt zu betreten, zu mir 2014 sagte: "Wir wollen dich räumen" und den Namen "Z***" nannte, hieß, wie gesagt, entweder nicht so, oder auch so. Bei einer anderen Gelegenheit gab er an, sie gingen gegen mich bei einem Rechtsanwalt vor, ein Rabbiner sei dabei, und sagte, sie hätten am darauf folgenden Tag einen Termin beim Rechtsanwalt. Der darauffolgende Tag, war aber ein strenger jüdischer Feiertag, einer der Pessachtage.

Ich hielt, angesichts der eingetretenen Umstände, angesichts der Veröffentlichung der International Holocaust Rememberance Alliance, dass niemand aus unserer Familie über die Erschießung seit 1944 gesprochen habe, nun doch für angemessen der Sozialarbeiterin über die Verwirrung um den Namen damals zu berichten, und andere daran zu erinnern, dass ich des Grabes der Erschossenen durchaus gedachte. Es war nicht so, dass ich zu niemandem darüber gesprochen hatte, sondern so, dass man darüber nicht hören wollte, wie auch das Wort "jüdisch" siebeneinhalb Jahre lang in der Bezeichnung meiner Galerie in meinem Gewerbeschein fehlte. Im Frühjahr 2016 erfuhr ich, dass ein Polizist in der Vernehmung einer Befragten angegeben habe, dass das, was ich klagte, schiene mir nur, in Wirklichkeit geschehe gar nichts. Der Hausmeister des Hauses, in dem ich neuneinhalb Jahre lang wohnte, sagte mir ins Gesicht: Sie wissen nicht, was Sie sprechen, Sie denken sich die Sachen aus, während er selbst nicht die Wahrheit sagte, weil er sie nicht sprechen lassen wollte.

Meiner Erinnerung nach, habe ich, wie gesagt, auch zur Sozialarbeiterin über die Erschießung gesprochen. Als ich eines Tages Fassung verlor und am frühen Morgen auf einer Wiese, wo ich Flaschen sammelte, um vom Pfand für sie zu leben, nachdem Herr Z*** mir "Schalom" zu rief, ich konnte nicht so laut schreien wie er, später schrie er zu mir von weitem. Ich trat zu ihm, und so laut ich konnte sprach oder schrie: Gehen Sie an das Grab und schreien Sie "Schalom!". Gehen Sie. Schreien Sie dort: "Schalom". Er antwortete mir, dass er nichts von keinem Grab wisse. Dann sagte er, er werde "Schalom" auch am Grab schreien. Da ich wegen Flaschensammeln am Leistenbruch operiert werden musste, kann ich bis heute wegen eines Schadens in der Wirbelsäule seit Herbst 2016 kaum sitzen und laufen. Ich litt viereinhalb Jahre lang unter einer dauerhaften Hypothermie, Unterkühlung. Ruft Herr Z*** mir "Schalom" nach wie vor aus der Ferne zu?

Ich fragte die Sozialarbeiterin, ob sie dem Herrn, angesichts der eingetretenen Umstände, meinen Link, den Link zu meiner Geschichte "Jesus wurde gesteinigt", vielleicht weitergeben wolle. In der Geschichte war eine kurze Schilderung der Erschießung durchgehend seit 2020 offentlich zugänglich. Er sagte mir, er sei bei einem Verein für Dialog der Religionen in der Stadt dabei, was bedeuten sollte, er hätte nichts gegen Juden. Ich ergänzte in meinem Schreiben an die Sozialarbeiterin, es ginge mir besser, so dass ich dem Herrn das Grab im Wald, der nun mir gehört, eines Tages vielleicht werde zeigen können. Darüber hinaus erklärte ich mich für bereit, das Grab meiner Schwester in der Stadt zu zeigen. Ich erhielt, wie in solchen Fällen so gut wie jedes Mal, keine Antwort. Ich fragte den Oberbürgermeister der Stadt in einer Email, ob die Leiterin des Kulturamtes denn in der Lage wäre, das, was vor neunzehn Jahren in ihrem Büro geschehen war, gegenüber der International Holocaust Remembrance Alliance zu bestätigen und ihren Fehler einzugestehen. Sie verhielt sich mir gegenüber ja offensichtlich widerrechtlich. Das Rathaus antwortete nicht. Vielleicht war mir das Schweigen lieber, als der Brief des Oberbürgermeisters zu Beginn der Schwierigkeiten, der mit Worten "Verbindlichen Dank für ihren Brief" begann und Unterstützung vorgab?

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